„Praxisvertretungen sind sozialversicherungspflichtig“ – Urteil des BSG
§ 7 SGB IV – Trendwende und Paukenschlag: Nun sind auch Praxisvertretungen sozialversicherungspflichtig (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 19.10.2021, B 12 R 1/21 R), Honorarärzte im Krankenhaus ohnehin seit Juni 2019 (BSG, Urteil vom 04.06.2019,B 12 R 11/18 R als Leitfall)
Nun ist es amtlich:
Das Bundessozialgericht (BSG) hat jüngst entschieden, dass selbst die (vorübergehende) Tätigkeit von Ärzten als Vertreter von Inhabern von Arztpraxen grundsätzlich ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis begründet und knüpft damit an seine Rechtsprechung aus dem Jahre 2019 an. Die Rechtsprechung macht also keinen Unterschied mehr, ob der Arzt als Vertreter in einem Krankenhaus oder Arztbetrieb tätig ist. Die Argumentation von damals bleibe nämlich die gleiche. Ärzte, die als Honorarärzte in einem Krankenhaus tätig sind, sind in dieser Tätigkeit regelmäßig nicht als Selbstständige anzusehen, sondern unterliegen als Beschäftigte des Krankenhauses der Sozialversicherungspflicht. Richtig ist zwar, dass bis dato immer eine Gesamtwürdigung der Umstände für die Beurteilung zugrunde gelegt wurde, ob eine abhängige Beschäftigung vorliegt oder nicht. Diese Grundsätze wurden jedoch letztlich seit 2019 mehr oder weniger vom BSG kassiert. Entscheidend ist nämlich nunmehr nach der neuen Rechtsprechung des BSG, ob die Betroffenen weisungsgebunden bzw. in eine Arbeitsorganisation eingegliedert sind. Letzteres ist bei Ärzten in einem Krankenhaus – aber auch in einem Arztbetrieb – regelmäßig gegeben, weil dort ein hoher Grad der Organisation herrscht, auf die die Betroffenen keinen eigenen, unternehmerischen Einfluss haben. Sie sind in der Regel Teil eines Teams, das arbeitsteilig unter Leitung eines Verantwortlichen zusammenarbeiten muss. Auch liegt nahe, dass sich die Betroffenen in die vorgegebenen Strukturen und Abläufe einfügen. Hinzu kommt, dass auch Honorarärzte ganz überwiegend personelle und sachliche Ressourcen des Krankenhauses bei ihrer Tätigkeit nutzen. Diese seien wohl vollständig in den Betriebsablauf eingegliedert. Auch seien keine unternehmerische Entscheidungsspielräume bei einer Tätigkeit als Honorararzt im Krankenhaus gegeben, wobei die bloße Honorarhöhe nur eines von vielen in der Gesamtwürdigung zu berücksichtigenden Indizien ist und vorliegend als nicht ausschlaggebend qualifiziert wird. Auch habe der etwaige Fachkräftemängel im Gesundheitswesen keinen Einfluss auf die rechtliche Beurteilung des Vorliegens von Versicherungspflicht, auch nicht die besondere Qualität der ärztlichen Heilkunde als Dienst „höherer Art“. Sozialrechtliche Regelungen zur Versicherungs- und Beitragspflicht könnten nicht außer Kraft gesetzt werden, auch wenn ärztliche Tätigkeiten hoch entlohnt seien. Gleiche Grundsätze gelten nunmehr auch für einen Arztbetrieb. Der Eingliederung in einen fremden Arztbetrieb könne nur entgegenstehen, wenn ein Arztvertreter für die Dauer seiner Tätigkeit die Stelle des Praxisinhabers einnimmt und zeitweilig selbst dessen Arbeitgeberfunktionen erfüllt. Das wird in den wenigsten Fällen der Fall sein, einen praktischen Versuch möglicherweise aber wert …
Im Übrigen hat das BSG 2019 auch entschieden, dass Honorarpflegekräfte stets abhängig beschäftigt sind.
Verfasser: Dr. Ulrich Neusinger
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Dr. Ulrich Neusinger
Rechtsanwalt – Fachanwalt für Arbeitsrecht
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